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Die entvölkerten Berge (5)

von Martin Meyer

Als wir am nächsten Morgen das Musée cévenol in le Vigan besuchen wird klar, daß die goldenen Zeiten der Kleinstadt am Südrand der Cevennen längst vorbei sind. Als die Berge noch dicht besiedelt waren, brachte die Seidenraupenzucht den Bauern ein kleines Zubrot, welches das Leben erträglicher machte und in der Stadt für Wohlstand sorgte. Die Raupen wurden auf den Dachböden der Wohnhäuser gehalten und mit Blättern des Maulbeerbaumes gefüttert. Wen sie sich nach fünf Wochen dick und rund gefressen, sponnen sie aus Seide einen Kokon um sich zu verpuppen. Schnell wurden die Seidenraupen getötet, damit nicht ein wertloser Schmetterling durch ungewolltes Schlüpfen den kostbaren Seidenfaden zerstörte. Zur Weiterverarbeitung wurden die Seidenkokons in die Täler gebracht. Die Frauen und Kinder der Region folgten dem Weg der Seide, um in den Manufakturen als Tagelöhner zu arbeiten.
Das Musée cévenol hat sich in einer dieser ehemaligen Seidenwebereien eingerichtet. Dieses schön gelegene Gebäude am Ufer der Arre informiert sehr eindringlich über das harte und entbehrungsreiche Leben in den Bergen. Bei der Fahrt durch das Arre-Tal stoßen wir immer wieder auf die Spuren des verblichenen Reichtums. Am Wegesrand liegen ehemals prachtvolle Villen, längst aufgegebene Webereien und Bahnhöfe, wo der letzte Zug schon lange abgefahren ist.

Alte Villa

Mit dem Aufstieg auf die Causse du Larzac lassen wir die industrielle Vergangenheit hinter uns, um uns der kulinarischen Gegenwart zuzuwenden, die sich am anderen Ende der Causse befindet. In Gedanken bereits bei den verschimmelten Köstlichkeiten, fahren wir unserem nächsten Ziel entgegen, den Käsehöhlen von Roquefort. Das sich in Roquefort-sur-Soulzon, wie der Ort in voller Länge heißt, alles um den Käse dreht, machen die Lagerhäuser, Kühllastwagen und die großen Plakate am Ortseingang unmißverständlich klar. Um das Objekt der Begierde zu sehen, steigen wir hinab in die Höhlen. Nachdem die Schafe auf den Hochflächen und auch die Käsereien in der Umgebung ihre Arbeit getan haben und aus Schafsmilch Käselaibe gemacht wurden, kommen diese, bereits mit den Pilzsporen infiziert, zum Reifen in die "Caves" nach Roquefort. Hier braucht der Käse vier Monate, bis er in dem besonderen Klima der Höhlen und unter ständiger Kontrolle der Käsereiangestellten zu einem echten Roquefortschimmelkäse wird. Zum Ende der Führung kann man sich noch durch die verschiedenen Sorten probieren, die je nachdem in welcher Höhle sie gereift sind, etwas anders schmecken. Dazu fehlen nur ein kräftiger Rotwein und ein Stück Weißbrot, um die Sache perfekt zu machen.
Nach den diversen Festivitäten und ausgesuchten Genüssen für den Gaumen steht uns der Sinn nach Natur pur. Etwas südlich von Le Vigan, nachdem wir die kleine Causse de Blandas überquert haben, tut sie sich am Rand des Kalkplateaus vor unseren Stollenreifen in Form des Cirque de Navacelles gewaltig auf.

Talkessel Der kleinen Fluß Vis hat hier einen stadionähnlichen Talkessel 400 Meter in den Kalkstein gefurcht. Das sich eine Flußschlinge im Laufe der Zeit selber das Wasser abgräbt, und anschließend trocken fällt, ist im Leben eines Flusses nichts besonderes, allerdings ist es selten so imposant wie hier. In weiten Schwüngen führt die Straße hinunter zum Dorf Navacelles, das sich den fruchtbaren Schwemmboden des ausgetrockneten Mäanders zunutze macht.
Bei einer kleinen Rast im Dorf machen wir eine erstaunliche Entdeckung. Statt mit den üblichen "südfranzösischen Hockklos" werden wir mit modernster Technik konfrontiert. Nach dem Betätigen der Spülung beginnt ein Kasten, der ungefähr 1/3 des Raumes einnimmt, die Toilettenbrille einzuziehen, um sie mit Getöse zu reinigen, während er eine saubere, bereits wieder auf der Toilette abgelegt hat. So etwas sieht man auch in Paris nicht alle Tage. Immer noch etwas amüsiert verlassen wir Navacelles über den Südhang des Cañon und es fällt schwer sich bei dieser Aussicht auf die Straße zu konzentrieren.




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